Der Verlust der Parteistellung bei Unterlassung von Einwendungen ist ein zentrales Element in österreichischen Anlagengenehmigungsverfahren. Diese Regelung ist durch die Aarhus- Konvention ins Wanken geraten. Von vielen wurde bereits ein Ende der Präklusion prophezeit. Zu Unrecht, wie ein aktuelles EuGH-Urteil zeigt.
Im Genehmigungsverfahren für Anlagen (etwa Windkraftwerke, Stromleitungen, Straßen oder Abfallverbrennungsanlagen) stehen sich oft widerstreitende Interessen gegenüber. Während die Antragsteller ein Projekt verwirklichen wollen, haben Nachbarn des Vorhabens oft Bedenken etwa wegen Lärms. Rechtlich ist eine Beurteilung dieser widerstreitenden Interessen geboten. Anlagen müssen so errichtet und betrieben werden, dass dadurch Gefährdungen und unzumutbare Belästigungen vermieden werden, nur dann ist eine Genehmigung möglich. Die Prüfung dieser Voraussetzungen erfolgt in Verfahren, wo potentiell Beeinträchtigte Parteistellung haben.
Um die Verfahren überschaubar zu halten, verlangt der Gesetzgeber jedoch eine Mitwirkung der Nachbarn. Kam es vereinfacht dargestellt zu einer Kundmachung des Verfahren, müssen die Parteien des Verfahrens Bedenken gegen den Antrag (sogenannte Einwendungen) erheben, ansonsten verlieren sie ihre Parteistellung und damit auch das Recht eine Genehmigung zu bekämpfen.
Durch die Aarhus-Konvention wurde dieses System jedoch durcheinander gewirbelt, indem sie der Öffentlichkeit unter anderem umfassende Beteiligungsrechte in Entscheidungsprozessen einräumte. Neben der Schaffung von Beschwerderechten für Umweltschutzorganisationen (NGOs) wurde in mehreren Judikaten letztlich auch die Präklusion in der in Österreich geltenden Form als mit dem Unionsrecht unvereinbar erklärt. Dabei blieb aber die Tür für eine mögliche Präklusion stets einen Spalt offen.
Das nächste Kapitel wurde nun mit dem Urteil vom 14.1.2020, Rs C-826/18 (Stichting ua) aufgeschlagen. Gegenstand dieses Vorabentscheidungsverfahrens war die Errichtung eines Schweinestalls. Die niederländischen Behörden stellten fest, dass für die Genehmigung kein Umweltbericht erforderlich wäre und erteilten die beantragte Umweltgenehmigung. Dagegen erhoben eine Dame und drei NGOs Klagen auf Nichtigerklärung. Die Dame wohnte dabei 20 km vom Vorhaben entfernt.
Das niederländische Gericht stellte an den EuGH die Fragen, ob ein genereller Ausschluss der nicht unmittelbar betroffenen Öffentlichkeit vom Zugang zu Gerichten zulässig wäre. Weiters sollte im Wesentlichen geklärt werden, ob die Zulässigkeit einer Beschwerde von einer vorherigen Beteiligung am Verfahren abhängig gemacht werde.
Das Urteil des EuGH war durchaus überraschend: Die Beteiligung Privater kann nach dem Urteil insofern beschränkt werden, als sie (persönlich) betroffen sein müssen. NGOs gelten bereits per definitionem als betroffen, weshalb diesbezüglich keine weiteren Beschränkungen zulässig sind. Die Dame würde dagegen zu weit vom Vorhaben entfernt wohnen, um betroffen zu sein. Die Aarhus-Konvention eröffnet daher kein unmittelbares Jedermanns-Recht auf Beteiligung an Genehmigungsverfahren.
Dies entspricht insoweit auch der österreichischen Rechtslage. Parteistellung haben nur jene Personen, die von den Auswirkungen eines Vorhabens denkmöglich betroffen sein können. Ein Einkaufszentrum in Innsbruck wird einen Wiener ebenso wenig berühren, wie ein Windrad im Waldviertel. Einwendungen wären in diesen Fällen daher auch weiterhin unzulässig.
Spannender war aber die Frage zu werten, ob das Beschwerderecht an eine Beteiligung an einem vorgeschalteten Verwaltungsverfahren geknüpft werden darf. Hier hat Österreich im UVP-Bereich eine Sonderregelung getroffen, wonach grundsätzlich jede Person gegen einen Bescheid Beschwerde erheben darf, sofern diese Person glaubhaft macht, dass sie am Unterbleiben der Geltendmachung während der Einwendungsfrist kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Diese Rechtslage wird vom EuGH differenziert beurteilt: Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, insbesondere NGOs, müssen die Möglichkeit haben, eine Beschwerde einzubringen, unabhängig davon, ob sie sich am Verfahren beteiligt haben.
Einschränkend hält der Gerichtshof aber fest, dass dies dann nicht gilt, wenn der gerichtliche Rechtsbehelf aufgrund weiter gehender Beteiligungsrechte am Entscheidungsverfahren, die allein das nationale Umweltrecht eines Mitgliedstaats gewährt, erfolgen würde. Dies ist in Österreich in vielen Verfahren durchaus üblich. In diesem Fall ermöglicht die Aarhus- Konvention Einschränkungen, wie etwa die vorherige Beteiligung am Verfahren, wenn diese gesetzlich vorgesehen ist, den Wesensgehalt dieses Rechts achtet und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist und den von der Europäischen Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entspricht. Eine Regelung wie in § 40 UVP-G 2000 ist in diesem Fall zulässig. Dies ist auch mit Art 47 GRC vereinbar.
Welche Bedeutung haben diese Aussagen nun für Österreich:
- Es gibt kein uneingeschränktes Beschwerderecht gegen umweltbezogene Beschwerde können nur Personen erheben, die von den Auswirkungen eines Projekts betroffen sind.
- NGOs sind immer betroffen, ihr Beschwerderecht darf nicht (wie etwa in 40 UVP-G 2000) eingeschränkt werden. Diese Regelung muss daher modifiziert werden.
- Hat die Öffentlichkeit durch die nationale Rechtslage weiter gehende Rechte, als jene, die die Aarhus-Konvention einräumt, ist eine Beschränkung der Beschwerdelegitimation etwa durch Beteiligung an einem vorhergehenden Genehmigungsverfahren Insoweit ist das Erfordernis nach der Erhebung von Einwendungen zulässig, wenn das unverschuldete Versäumnis wieder gut gemacht werden kann. Entsprechende Regelungen sind in § 42 Abs 3 AVG vorhanden.
Praktisch kann die Präklusionslösung daher weiter beibehalten werden. Das befürchtete Ende ist nicht eingetreten.
Dennoch wird mit dem Urteil neuerlich eine umfassende Beschwerdelegitimation der NGOs verdeutlicht. Der österreichische Gesetzgeber ist daher angehalten, die nationalen Genehmigungsverfahren so umzugestalten, dass weiterhin eine effiziente Abwicklung möglich bleibt. Gerade die jüngere Vergangenheit zeigt, dass in Verfahren im Zusammenhang mit dem Ausbau erneuerbarer Energien Mitwirkungsmöglichkeiten durch NGOs umfassend ausgeschöpft werden. Auf die Verwaltungsgerichte kommen dabei komplexe, sachverhaltslastige Fragestellungen zu, die zu überlangen Verfahren führen. Gelingt es, hier Beschleunigungen zu ermöglichen, würde damit ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz gesetzt, weil Projekte dadurch schneller realisiert werden können.
Berthold Lindner